butoh-itto/ GooSayTen






E
X
.
.
.
I
T
!
'
99







by



T
A
C
H
I
K
I


A
K
I
K
O


from "Ballet International", Heft 11, Nov.1999

[ English version ] - [ Japanese version ]




EX...it!99 IN GERMANY

Absolute Butoh


Absolute Butoh
"Ex... it! `99" -


Auf der Suche nach einem heutigen Butoh auf einem intenationalen Workshop
auf Schloss Brollin bei Berlin.

Von Akiko Tachiki



Mit seinem grotesk deformierten Koerperbild verstiess Butoh gegen saemtliche aesthetischen Vorstellungen des Westens, eroeffnete zugleich aber neue Moeglichkeiten des physischen Ausdrucks. Butoh gibt es seit nun genau vier Jahrzehnten, setzt man die Geburtsstunde 1959 mit der Auffuehrung "Kinjiki" (Verbotene Farbe) an. 1998 war das 13. Todesjahr von Butoh-Begruender Tatsumi Hiiikata. Auch in Japan gabes etliche Veranstaltungen, die Butoh in ein neues Licht ruecken wollten.

Abgesehen von den fuehrenden Vertretern wie Kazuo Ohno, Sankai Juku und Min Tanaka wird im internationalen Rahmen dennoch ein Neidergang des Butoh konstatert. Der einfachste Grund: Viele Butoh- Taenzer sind im Klischee erstarrt. Nun haben sich in Deutschland mehr als fuenfzig Kuenstler an einem entlegenen Ort versammelt, auf Schloss Broellin in Mecklenburg-Vorpommern, zum "Exchange Project Ex...it! '99" - die zweite Runde einer ueber vier Jahre angelegten Veranstaltung; hauptamtliche Butoh-Taenzer. Interessierte wie auch einschlaegige Choreografen aus aller Welt waren angereist. Das intensive Programm zielte auf kuenstlerischen Austausch in Form von Workshops, Stueckproduktionen und Auffuehrungen - insgesamt zwei Wochen gemeinsamen Lebens und Arbeitens. (Die Kuenstlerische Leitung hatten Delata RA'i und Yumiko Yoshioka vom TenPenChii Art Labor, beides ehemalige Mitglieder der Butoh-Formation tatoeba-Theatre Danse Grotesque.)

Zu den beteiligten Choreografen und Taenzern gehoerten Juju Arishina, eine Solistin, die jetzt in Paris arbeitet; Itto Morita und Mika Takeuchi, ein Butoh-Duo mit Sitz in Hokkaido ; Yuri Nagaoka, ausdrucksstarke Solotaenzerin, die hauptsaechlich in Tokio auftritt; Shinichi Koga, der an der amerikanischen Westkueste lebt und arbeitet; die Kokora Dance Group mit Barbara Bourget und Jay Hirabayashi, der in Berlin ansaessige mexikanische Taenzer Shanti de Oyarzabal; Sabine Seume aus Deutschland, die bei Pina Bausch gearbeitet und spaeter bei Cartotta Ikeda Butoh gelernt hat, dann mit der Cie. Ariadone auftrat und heute in der Regel solistisch arbeitet; Arthur Kuggeleyn, bekannt durch sein RA.M.M. Theater, die britische Taenzerin und bildende Kuenstlerin Miriam King: Kazuo Ohnos Schweizer Schueler Imre Thorman; Maria Reis Lima aus Portugal, die ebenfalls bei Kazuo Ohno lernte: und Vlatcheslav Inosemtzev, Mime und Anfuehrer des grotesken Bewegungstheaters Zhest aus Minsk in Weissrussland.

Das Schloss Broellin noerdlich von Berlin liegt nahe der polnischen Grenze, ein abgeschiedener Ort in laendlicher Umgebung, heute das einzige Zentrum innovativer Kulturarbeit im Bundesland Mecklenburg-Vorpornmern, eine ehemalige Landwirtschaftliche Productionsgenossenschaft. Hier gab es neben Workshops zwoelf Produktionen der teilnehmenden Choreografen. Thema aller Produktionen war "Verben mit der Vorsilbe Ex-" (wie schon im Titel "ex...it!" vorgegeben. Die allesamt hier entstandenen Produktionen waren wechselseitig aufeinander bezogen und bildeten eine geschlossene Welt, durch die das Publikum von einem komischen Kakerlaken-Trupp (choreografiert von Shinichi) geleitet wurde.

Besonders eindrucksvoll war Sabine Seume. 1994 gewann sie den Prix Mandala (Peau/Frankreich) und 1997 einen Preis beim Belgrader Brams-Festival. Ihr Beitrag mit dem Titel "Expectation" fand in der Ecke einer grossen Scheune statt, mit halb in den Erdboden eingegrabenen Taenzern. Sie selbst tanzte in einer durchsichtigen Plastikkiste etwa zwei Meter unter der Erde, wie ein Foetus oder ein Tiernach dem Winterschlaf allmaehlich erwachend und sich mit der sie umgebenden Luft beschaeftigend. Auch drei andere Taenzer suggerierten erwachenden Fruehling und tanzten geheimnisumweht mit ihren Koerpern halb im Boden eingegraben.

Itto Moritas Produktion gelangte durch Resonanz zwischen Koerper und Raum zu poetischer Schlichtheit, auch sie, ohne Butoh-Ansaetze zu verraten. Moritas Spielflaeche war ein freier Platz vor einer alten Kapelle neben dem Schloss, am Fusse eines gewaltigen, tausendjaehrigen Baums. Den Friedhof im Ruecken, huschten die Taenzer wie mystische Geisterwesen umher und reagierten auf den kuehlen Wind im Blaetterdach, den leichten Regenschauer und seinen Geruch. Obwohl offensichtlich ohne Ausbildung, hatten die Mitwirkenden doch auf individuelle Weise Butoh-Grundlagen erfasst.

Auch Yuri Nagaokas Auffuehrung einer dramatischen Flucht, die sie in eine ehemalige Waschkueche im Souterrain verlegt hatte, war auf den Spielort abgestimmt. Der Tod, ein wichtiges Element der Lebenseinstellung des Butoh, wurde in Imre Thormans dramatischer Auffuehrung europaeisch interpretiert, Hijikatas ideal des geopferten Koerpers kam trotzdem zum Ausdruck.

Die Produktion stellte eine exquisite Verbindung der ruhigen, unaufgeregten Stimmung in und um Schloss Broellin mit politischer Kritik am Wahnsinn menschlichen Verhaltens in Kosovo und in Auschwitz dar und zielte auf die Erzaehlung vom menschlichen Leben mit dem Tode. Ein Karren erscheint aus der Dunkelheit, Maenner werfen einen Leib zu Boden. Jemand kommt angeradelt, bremst abrupt und geht ebenfalls zu Boden. Auch er ein Opfer. Der Koerper des Mannes wird mit hoelzernen Traggriffen davongeschleppt. Die Prozession zieht zu einem sumpfigen Morast auf dem Anwesen und geraet zu einer Szene, die an Hijikatas beruehmtes Stueck "Hangidaitokan" erinnert.

Dann das Finale, "Nackte Tatsachen", unter Leitung von Arthur Kuggeleyn, Das Publikum erlebt beim Betreten der zum Auffuehrungssaal hergerichteten Scheune ein Ueberraschungsmoment. Sechzig Taenzer, die meisten nackt und weiss bemalt, liegen in foetalen Haltungen kauernd verstreut und halten jeder eine Gluehbirne im Arm. Es erklingt Johann Strauss' "An der schoenen, blauen Donau". Die Taenzer erzittern und richten sich langsam auf.

Die Podiumsdiskussion, besetzt mit dem deutschen Philosophen Rolf Elberfeld, dem Schauspieler und Choreografen Gregor Weber, der Butoh-Expertin der Universitaet Rom, Maria Pia D'Orazi, dem britischen Tanzkritiker Gilles Kennedy und mir selbst, betonte die Auffassung einer Metamorphose des Koerpers hin zu anderen Existenzformen mittels eines "leeren Koerpers".

Den Koerper zu leeren und interaktion mit der umgebenden Welt anzustreben, befreit Koerper wie Geist und schaerft die Wahrnehmung. Derartige Butoh-Bewegungen haben Heilkraft bis hin zu psychotherapeutische Wirkung, wie Kazuo Ohno und Toru Iwashita sie praktizierten. Mit anderen Worten: Butoh kann als Versuch aufgefasst werden, das Nichts als mentalen Zustand zu erlangen, eine Befreiung durch koerperliches Erfahren.

Angesichts solcher Konzepte duerfte es notwendig sein, die ButohAuffassung des Koerpers im zeitgenoessischen Kontext neu zu befra gen. In Hijikatas Butoh-Stil liegt jedoch selbst ein Paradox der Leugnung des Selbst, gerade weil das Selbst und das Ich derzeit wieder im Mittelpunkt zeitgenoessischer Konzepte stehen. Das Stadium des "Butoh-Koerpers" erreicht zu haben, bedeutet lediglich, dass ein Taenzer fuer den Butoh bereit ist.

Weil es sich dabei um eine individuelle Kunst ohne allgemeingueltige Regeln handelt, ist es fuer jeden Butoh-Taenzer wichtig, seine eigene Koerperwirklichkeit und Praesenz zu finden - seine Lebensform. Ernst zu nehmende Butoh-Auffuehrungen in Japan stammen oft von Taenzern, die zwar Butoh gelernt haben, nun aber in unterschiedlichsten zeitgenoessischen Tanzformen arbeiten.

Bei "Ex...it!'99" offenbarte sich ein hervorragendes Potenzial, wenn Butoh sich gemaess westlicher Physis und westlicher Sensibilitaeten entwickelt - in einer Form, die man "Butoh-Hybrid" nennen koennte, repraesentiert etwa von Sabine Seume. Solch kuenstlerischer Austausch, wie er sich bei "Ex...it!`99" vollzog, foerdert die Kreativitaet bei jedem einzelnen Kuenstler-ganz so, wie Butoh im Zuge von Hijikatas kuenstlerischer Suche durch seinen "konflikttraechtigen Koerper", einen koerper zwischen Tanz und japanischem Selbstverstaendnis, entstanden ist.



Weiss gepuderte Leiber liegen erstarrt auf der Buehne. Ein kurzes Zucken durchfaehrt die Taenzer, unregelmaessig steigt es an, bis sich die Koerper in epileptischen Kraepfen winden: Fische an Land, hilflos nach Luft schnappend, im Todesk(r)ampf gefangen. Kurz darauf: die Taenzer als Krebse vielleicht, die Scheren verhakt, im Kampf. Oder Froesche: In der Hocke sitzend, bilden sie mit dem eigenen Speichel Blasen, geben undefinierbare Laute von sich und starren mit verdrehten Augen traege vor sich hin.

Der japanische Choreograf Katsura Kan reist mit seinem Stueck "Curious Fish" in die Meeresunterwelt. Acht Taenzer aus Thailand und Singapul werden von vier japanischen und thailaendischan Musikern begleitet - asiatische Multikultur. Der Japaner Katsura Kan lebt derzeit in Thailand, wo er sich als Dozent der Akademie fuer Tanz Bangkok auf die Suche nach innovativen Bewegungsformen begibt, um einen Stil zu kreieren, der sich auf verschiedene asiatische Traditionen beruft und sich klar vom westlichen Tanz abgrenzt.

"Curious Fish" wurde im Rahmen des "Festivals der Gelster" im Berliner Tacheles gezeigt. Der Titel koennte passender nicht sein. Hier agieren Personen auf der Buehne, einer anderen Dimension entsprungen, kuehle Aliens aus einem Land ohne Zeit. Hinter Gaze schimmern rote Irrlichter zu meditativ schwebender Musik. Kurz darauf raschelt es in totaler Finsternis. Waehrend sich die Augen der Zuschauer langsam an den schwarzen Buehnenraum gewoehnen, wird die Dunkelheit transparent, schemenhaft sind Bewegungen zu erahnen, das Publikum spuert die Figuren.

Die codierte Bewegungssprache Katsura Kans bleibt dem Europaeer fremd. Trotzdem ergeben sich immer wieder kurze, greifbare Momente. Es ist gerade diese Suche nach einem Schluessel, nach einem europaeischen Zugang, die den Reiz ausmacht. Der Zuschauer spuert eine Vertrautheit, kann sie aber nicht begreifen. "Curious Fish" lebt von diesem Spannungsfeld, doch wird diese Dualitaet im Schlussbild aufgehoben. Die Taenzerinnen und Taenzer stehen erstmals gameinsam auf der Buehne, die weiss getuenchten Koerper in europaeische Kleidung gezwungen. Sie bilden ein Stilleben, das sich kaum merkbar zum Gesang von "Somewhere Over The Rainbow" veraendert (man fuehlt sich an Jo Fabians "Deutschlandbilder" erinnert). Die Gesichter der Akteure verzerren sich und werden zu gequaelten Fratzen. Mit diesem Schluss moechte Katsura Kan wohl zeigen, dass es unmoeglich ist, westliche und oestliche Kulturen zusammenzufuehren, ohne beide der Laecherlichkeit preiszugeben. Solch ein plakatives Ende waere allerdings wirklich nicht noetig gewesen.



*From "ballet INTERNATIONAL / AKTUELL tanz" Heft 11.November 1999, Germany.
*kasait owed Dr. Rolf Elberfeld, Wuppertal, Germany, to get this journal. Any mistakes in this article is due to kasait's typing error although it was proofread by Associate Professor of German, Satoshi Iwata, Sapporo, Japan.

iApr.7, 2000. Made by j